Tragbarer Roboterarm: Kognitive Strategien für die Augmentierung des Körpers

Verantwortlicher Redakteur:in: Rainer Trummer 5 min Lesedauer

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Forschende an der Ecole polytechnique fédérale de Lausanne EPFL entwickeln kognitive Strategien zur Ergänzung des Körpers durch einen tragbaren Roboterarm.Wissenschaftler an der Ecole polytechnique fédérale de Lausanne EPFL entwickeln kognitive Strategien zur Ergänzung des Körpers durch einen tragbaren Roboterarm.

(Quelle: Alain Herzog/EPFL)

EPFL-Forschende zeigen, dass sich die Atmung einsetzen lässt, um einen tragbaren Roboterarm zu steuern. Dabei wird die Kontrolle über andere Körperteile nicht beeinträchtigt. Der Neuroingenieur Silvestro Micera entwickelt Lösungen, um Menschen dabei zu helfen, sensorische und motorische Funktionen wiederzuerlangen. Diese können zum Beispiel aufgrund von traumatischen Ereignissen oder neurologischen Störungen verloren gegangen sein. Erstmals befasst er sich damit, den menschlichen Körper und die Kognition mit Hilfe von Technologie zu verbessern.

In einer in der Zeitschrift Science Robotics veröffentlichten Studie berichten Micera und sein Team nun, wie sich die Bewegungen des Zwerchfells überwachen lassen, um einen zusätzlichen Arm erfolgreich zu steuern. Somit erhält ein gesunder Mensch einen dritten - robotischen - Arm.

Tragbarer Roboterarm lässt sich durch die Atmung steuern

"Diese Studie eröffnet neue und aufregende Möglichkeiten. Denn sie zeigt, dass zusätzliche Arme umfassend kontrolliert werden können. Zudem ist die gleichzeitige Kontrolle mit beiden natürlichen Armen möglich", sagt Micera, Inhaber des Bertarelli-Stiftungslehrstuhls für Translational Neuroengineering an der EPFL und Professor für Bioelektronik an der Scuola Superiore Sant'Anna.

Die Studie ist Teil des Projekts "Third-Arm", das zuvor vom Schweizerischen Nationalfonds (NCCR Robotics) finanziert wurde. Das Projekt zielt darauf ab, einen tragbaren Roboterarm zu entwickeln, der bei alltäglichen Aufgaben oder bei Such- und Rettungseinsätzen helfen kann. Micera ist der Ansicht, dass die Erforschung der kognitiven Grenzen der Steuerung eines dritten Arms zu einem besseren Verständnis des menschlichen Gehirns führen kann.

Steuerung hilft, das Nervensystem zu verstehen

Micera fährt fort: "Die Hauptmotivation für die Steuerung des dritten Arms besteht darin, das Nervensystem zu verstehen. Wenn man das Gehirn herausfordert, etwas völlig Neues zu tun, kann man erfahren, ob das Gehirn das kann und ob es möglich ist, dieses Lernen zu erleichtern. Dieses Wissen können wir dann nutzen, um zum Beispiel Hilfsmittel für Menschen mit Behinderungen oder Rehabilitationsprotokolle nach einem Schlaganfall zu entwickeln."

"Wir wollen verstehen, ob unsere Gehirne fest verdrahtet sind, um das zu kontrollieren, was die Natur uns gegeben hat. Und wir haben gezeigt, dass das menschliche Gehirn sich anpassen kann, um neue Gliedmaßen zusammen mit unseren biologischen Gliedmaßen zu koordinieren", erklärt Solaiman Shokur, Co-PI der Studie und EPFL Senior Scientist am Neuro-X Institut. "Es geht darum, neue motorische Funktionen zu erwerben. Diese gehen über die bestehenden Funktionen eines bestimmten Benutzers hinaus, sei es ein gesunder oder ein behinderter Mensch. Aus der Sicht des Nervensystems handelt es sich um ein Kontinuum zwischen Rehabilitation und Augmentation".

Die Grenzen der Augmentierung

Um die kognitiven Grenzen der Augmentierung zu erforschen, bauten die Forscher zunächst eine virtuelle Umgebung. Somit testen sie die Fähigkeit eines gesunden Benutzers, einen virtuellen Arm durch die Bewegung seines Zwerchfells zu steuern. Sie fanden heraus, dass die Zwerchfellkontrolle nicht mit Handlungen wie der Steuerung der eigenen physiologischen Arme, der Sprache oder des Blicks interferiert.

In diesem Virtual-Reality-Setup erhält der Benutzer einen Gürtel, der die Zwerchfellbewegung misst. Der Benutzer trägt ein Virtual-Reality-Headset. Er sieht dort drei Arme: den rechten Arm und die rechte Hand, den linken Arm und die linke Hand sowie einen dritten Arm zwischen den beiden mit einer symmetrischen, sechsfingrigen Hand.

Test in der virtuellen Realität

"Wir haben diese Hand symmetrisch gestaltet, um eine Bevorzugung der linken oder rechten Hand zu vermeiden", erklärt Giulia Dominijanni, Doktorandin am Neuro-X Institut der EPFL. In der virtuellen Umgebung soll der Benutzer dann entweder mit der linken Hand, der rechten Hand oder in der Mitte mit der symmetrischen Hand zu greifen. In der realen Umgebung hält sich der Benutzer mit beiden Armen an einem Exoskelett fest. Das ermöglicht die Kontrolle über den virtuellen linken und rechten Arm. Die vom Gürtel um das Zwerchfell erfasste Bewegung dient der Steuerung des mittleren, symmetrischen Arms. Der Aufbau wurde an 61 gesunden Probanden in über 150 Sitzungen getestet.

"Die Steuerung des dritten Arms durch das Zwerchfell ist tatsächlich sehr intuitiv. Die Teilnehmer lernen sehr schnell, die zusätzliche Gliedmaße zu steuern", erklärt Dominijanni. "Außerdem ist unsere Kontrollstrategie von Natur aus unabhängig von den biologischen Gliedmaßen, und wir konnten zeigen, dass die Zwerchfellkontrolle keinen Einfluss auf die Fähigkeit des Benutzers hat, kohärent zu sprechen."

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Test mit dem echten Roboterarm

Die Forscher testeten die Zwerchfellsteuerung auch erfolgreich mit einem echten Roboterarm. Dabei handelt es sich um einen vereinfachten Arm, der aus einer Stange besteht, die sich aus- und wieder einfahren lässt. Wenn der Benutzer das Zwerchfell zusammenzieht, wird die Stange ausgefahren. In einem Experiment, das der VR-Umgebung ähnelt, soll der Benutzer Zielkreise mit der linken oder rechten Hand oder mit dem Roboterstab zu erreichen und darüber zu schweben.

Neben dem Zwerchfell hat man auch rudimentäre Ohrmuskeln auf ihre Eignung für neue Aufgaben getestet. Dabei wird ein Benutzer mit Ohrsensoren ausgestattet . Er soll dann feine Ohrmuskelbewegungen dazu nutzen, die Bewegung einer Computermaus zu steuern.

Ohrmuskeln: Eine weitere Möglichkeit zur Steuerung zusätzlicher Gliedmaßen?

"Die Benutzer könnten diese Ohrmuskeln potenziell zur Steuerung einer zusätzlichen Gliedmaße verwenden", sagt Shokur. Er betont, dass diese alternativen Steuerungsstrategien einmal bei der Entwicklung von Rehabilitationsprotokollen für Menschen mit motorischen Defiziten helfen könnten. Frühere Studien zur Steuerung von Roboterarmen, die Teil des Third-Arm-Projekts sind, konzentrierten sich auf die Unterstützung von Amputierten. Die jüngste Studie von Science Robotics geht einen Schritt über die Reparatur des menschlichen Körpers hinaus in Richtung Augmentation.

"Unser nächster Schritt besteht darin, den Einsatz komplexerer Robotergeräte mit unseren verschiedenen Steuerungsstrategien zu erforschen, um reale Aufgaben sowohl innerhalb als auch außerhalb des Labors zu erfüllen. Erst dann können wir das wirkliche Potenzial dieses Ansatzes erfassen", so Micera abschließend.

Bild oben: Ein Proband versucht, einen dritten Arm in einem Virtual-Reality-Experiment zu bewegen, während Giulia Dominijanni den Bildschirm überwacht. Bild: Alain Herzog / EPFL

Weitere Informationen zum Third Arm-Projekt: https://nccr-robotics.ch/research/wearable-robotics/third-arm/

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